Durch die IHK Schwaben zur Kreisfreiheit Neu-Ulms vorgestellte Zusammenfassung einer Studie blendet zentrale Fragen aus und ist in vielen Teilen weiter nicht nachvollziehbar

Gemeinsame Pressemitteilung der Neu-Ulmer Stadtratsfraktionen von CSU, SPD, Pro Neu-Ulm und die Bündnis 90 / die Grünen.

Die von der IHK Schwaben vergangenen Freitag in Weißenhorn vorgestellte Zusammenfassung einer durch das SME-Institut/Sozial- und Wirtschaftsforschung für den Mittelstand erstellten Studie über die angeblichen Auswirkungen der Kreisfreiheit Neu-Ulms berücksichtigt zentrale Fragen eines solchen Schritts gar nicht. In weiten Teilen sind die vorgelegten Zahlen nicht nachvollziehbar, aufgestellte Thesen werden nicht belegt. Für eine ernsthafte Diskussion über Vor- und Nachteile einer Kreisfreiheit sowie die finanziellen Auswirkungen ist diese Zusammenfassung nicht geeignet.

„Wir bedauern sehr, dass weder dem Stadtrat, noch auch der Stadtverwaltung bisher die vollständige Studie übergeben worden ist“, erklären die Fraktionsvorsitzenden der Neu-Ulmer Rathausfraktionen Johannes Stingl, Antje Esser, Stephan Salzmann und Mechthild Destruelle.

Die aktuell vorliegende Zusammenfassung behauptet Zahlen und stellt Thesen in den Raum, die weder belegt, noch insbesondere nachvollziehbar sind. Eine seriöse Bewertung der Auswirkungen einer Kreisfreiheit ist auf den bislang vorgelegten Zahlen nicht möglich“, sind sich die vier Fraktionsvorsitzenden nach der Präsentation in Weißenhorn einig.

Nachdrücklich verwehren sich die vier Fraktionsvorsitzenden gegen die Behauptung des Verfassers, der Stadtrat habe offensichtlich die „Tragweite“ seiner Entscheidung nicht erfasst.

„Wir möchten hierzu feststellen, dass wir uns intensiv mit der Kreisfreiheit, den verfassungs- und kommunalrechtlichen Grundlagen, als auch den vorliegenden Zahlen und Sachverhalten auseinandergesetzt haben. Wir können dem Verfasser versichern, dass wir die Kreisfreiheit, gerade weil uns die Hintergründe und Auswirkungen in ihrer ganzen Bandbreite bekannt sind, vollumfänglich unterstützen“.

Der Verfasser hat sich weder mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen noch mit kommunalen Aufgabenstellungen und Verantwortlichkeiten auseinandergesetzt. Er hat eine rein wirtschaftliche Betrachtung vorgenommen, und auch diese ist in weiten Teilen nicht nachvollziehbar, bzw. nicht belegt oder unzutreffend.

„Unsere Verfassung sieht vor, dass jede Gemeinde immer die Aufgaben in eigener Verantwortung wahrnehmen soll, die sie auch wahrnehmen kann. Eine Stadt ist kein Wirtschaftsbetrieb. Würde eine Stadt funktionieren, wie der Verfasser es sich vorstellt, müssten wir als erstes die Schwimmbäder und dann Einrichtungen wie die Musikschule oder die städtische Bücherei schließen. Anschließend vervielfachen wir die Gebühren für Kindergärten, Friedhofswesen, Sportanlagen und ähnliche Angebote, damit sie endlich kostendeckend arbeiten.

Diese verkürzte, rein wirtschaftliche Betrachtung ist falsch und kann nicht funktionieren,“ so die vier Fraktionsvorsitzenden.

Der schriftlich vorliegenden Zusammenfassung sowie auch dem Vortrag des Verfassers lassen sich zudem eine Reihe von Thesen entnehmen, die schlicht unzutreffend sind, oder nicht belegt werden. „Auch von einer Zusammenfassung kann aber erwartet werden, dass sie aufgestellte Behauptungen beweist, jedenfalls plausibilisiert. Das passiert hier nicht.“

Hierzu einige Beispiele:

Es ist falsch, wenn der Verfasser behauptet, die finanzielle Leistungsfähigkeit einer Stadt ergibt sich insbesondere aus deren Rücklagen und dem ggf. liquidierbaren Sachvermögen.

Zunächst ist festzuhalten, dass eine Kommune kaum „liquidierbares Sachvermögen“ hat. Sollen wir Straßen, Schulen oder Kindergärten auf den Markt schmeißen? Das ist weder möglich, noch gewollt. Wohin es führt, hat uns doch sehr lebhaft die Privatisierung von wesentlichen Einrichtungen wie der Wasserversorgung oder dem Stromnetz vor Augen geführt.

Die finanzielle Leistungsfähigkeit einer Stadt lässt sich insbesondere aus den Rücklagen und dem Ergebnis des Verwaltungshaushalts ableiten. Ohne Überschuss kein Geld für Investitionen. In allen Bereichen steht die Stadt hervorragend da.

Die Behauptung, Neu-Ulm habe sich nicht außerordentlich dynamisch entwickelt, verkennt die Tatsachen. Von 2010 bis 2016 haben wir einen Einwohnerzuwachs von mehr als 3.800 Einwohnern verzeichnet. Die Steuerkraft der Stadt ist im Zeitraum 2008 bis 2017 um 31,7 Millionen Euro, oder 92 % gestiegen. Dynamischer kann eine Entwicklung kaum sein.

Vergleich der Finanzkraft Neu-Ulms mit anderen kreisfreien Städten.

Der Verfasser behauptet, Neu-Ulm könne mit den anderen kreisfreien Städten nicht mithalten.

Der Verfasser ist den Nachfragen des CSU Fraktionsvorsitzenden Stingl hierzu konsequent ausgewichen. Die Finanzkraft einer kreisangehörigen Stadt, wie sie sich aus den Statistiken ergibt, kann nicht 1:1 auf die Finanzkraft einer kreisfreien Stadt übertragen werden. Hier müssen umfassende Bereinigungen vorgenommen werden. Diese sind notwendig, da kreisfreie und kreisangehörige Städte völlig anders finanziert werden und völlig andere Aufgabenstellungen haben. Allein an Schlüsselzuweisungen hätte Neu-Ulm in 2018 rund 8 Millionen Euro mehr erhalten. Wir sind uns sicher, dass der Verfasser diese bereinigten Zahlen nicht zu Grunde gelegt hat. Er möge seine Zahlen offenlegen. Wir sind gespannt! In seinem Vortrag hat er diese nicht offengelegt.

Nicht nachvollziehbar ist auch, inwieweit Finanzkraft und Umsetzung von Baumaßnahmen im Zusammenhang stehen. Dem Vortrag des Verfassers haben wir entnommen, dass er schlicht Haushaltszahlen von 10 Jahren addiert hat. So einfach kann man es sich nicht machen.

Nicht berücksichtigt wurden offensichtlich, dass bei nicht begonnenen zw. nicht beendeten Maßnahmen vorhandene Haushaltsansätze und Haushaltsreste auch neu in den Haushalt eingestellt werden. Im Falle einer schlichten Addition würden diese also mehrfach addiert werden. Der Verfasser möge seine Zahlen offenlegen, damit dieses nachvollzogen werden kann. So ist der Vortrag nicht schlüssig.

Ebenso fasch ist seine Behauptung, die Bezirksumlage betrage 50 % der Kreisumlage. Die Bezirksumlage bemisst sich nach der Umlagekraft einer Stadt und wird entsprechend jährlich neu festgesetzt. Für 2018 schlägt diese „Unschärfe“ des Verfassers immerhin mit 1,74 Millionen Euro zum Nachteil der Stadt Neu-Ulm zu Buche.

Die Behauptung, eine mittelfristige Finanzplanung liege nicht vor, ist ebenso falsch.
Diese Planung liegt sowohl für die Stadt, als auch – soweit die Zahlen überhaupt vom Landkreis in seinem Haushalt berücksichtigt wurden – für den möglichen Haushalt der Kreisfreien Stadt vor. Nur kann natürlich die Stadt nur solche Zahlen berücksichtigen, die auch der Landkreis in seinem Haushalt vorgesehen hat.

Die Ausführungen zur sogenannten „Entflechtungsmasse“ entbehren jeder Grundlage. Weder ist richtig, dass Vermögen zu „Substanzwerten“ übernommen werden muss, noch müssen bilanzielle Rückstellungen des Landkreises zum Personal (der Verfasser geht hier von immerhin 10 Millionen Euro aus!) übernommen werden. Auch entbehrt die Behauptung, „notwendige Infrastruktur“ für die Übernahme von Personal koste 10 Mio. Euro, jeder Grundlage. Offensichtlich ist dem Verfasser nicht bewusst, dass Personal des Landkreises nicht nur im Landratsamt, sondern auch in Einrichtungen wie z.B. Schulen oder dem Jobcenter tätig ist und dort auch weiter Tätigkeiten ausübt. Weiter unterschlägt der Verfasser, dass bereits heute Mitarbeiter des Landratsamtes in Gebäuden der Stadt tätig sind, die das Landratsamt von der Stadt angemietet hat.

Die letztlich behauptete Zahl von 75 Millionen Euro, die die Kreisfreiheit kosten soll, ist daher nicht nachvollziehbar und entbehrt jeder Grundlage.

Abwegig und falsch sind die Ausführungen des Verfassers, wenn er behauptet, der Landkreis gleiche einer „Holding“. Diese Aussage zeigt deutlich, dass hier ein grundlegendes Missverständnis über Zuschnitt und Aufgaben von Verwaltung und Gebietskörperschaften sowohl einer Stadt, als auch eines Landkreises vorliegt.

Ein Landkreis ist keine Finanzierungsgesellschaft. Der Landkreis finanziert ausschließlich eigene Aufgaben, nicht aber die Aufgaben der Stadt. Er ist auch keine „Dienstleistungsgesellschaft“. Stadt und Landkreis sind selbständig und agieren unabhängig voneinander. Jede Verwaltung erfüllt die ihr übertragenen Aufgaben. Mit einer „Holding“ hat dieses nichts zu tun.

Völlig außeracht lässt der Verfasser in seiner Bewertung schließlich, dass die Stadt schon heute eine ganze Reihe von Aufgabe auf eigene Kosten erbringt, für die nicht sie, sondern eigentlich ausschließlich der Landkreis zuständig ist. Die Stadt Neu-Ulm erbringt diese Leistungen, weil die Aufgaben aufgrund der Größe der Stadt für das Zusammenleben erforderlich sind bzw. selbstverständlich von den Bürgerinnen und Bürgern gefordert werden. Hierzu zählt z.B. der innerstädtische ÖPNV, die Schulsozialarbeit, Leistungen im Bereich Integration, Migration, der Jugendhilfe, für Senioren und in anderen sozialen Bereichen. Die Stadt muss also bereits in einem ganz erheblichen Umfang Doppelstrukturen schaffen und finanzieren, obwohl sie gar nicht zuständig ist, für die sie daher keine Mittel erhält, die aber für das Funktionieren der Stadt und das Zusammenleben erforderlich sind.

Die Zusammenfassung, die in ihrer aktuellen Form weit von einem Gutachten entfernt ist, enthält somit eine Vielzahl nicht belegter Behauptungen und blendet eine ebenso große Anzahl an verfassungs- und kommunalrechtlichen Grundsätzen aus. Damit scheidet die Zusammenfassung als Basis für eine vernünftige Diskussion aus. Um es mit den Worten des Verfassers zu sagen: Es scheint so, dass der Verfasser die Tragweite und Auswirkungen kommunaler Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und der Finanzierung sowohl der Körperschaft, als auch der Aufgaben nicht bewertet hat.

Die Neu-Ulmer Bürgerinnen und Bürger dürfen zu dem Bestreben der Kreisfreiheit eine sachlich und fachlich fundierte Auseinandersetzung mit den Argumenten der Stadt erwarten. Diese Zusammenfassung und auch die am Freitag vorgelegten Zahlen und Bewertungen kommunaler Aufgaben sind hierzu kein Beitrag.

Neu-Ulm, den 10. 11.2018

Johannes Stingl Antje Esser Stephan Salzmann Mechthild Destruelle

Kontakt:
Johannes Stingl, Malerweg , 89233 Neu-Ulm, 0731/8802281
Antje Esser, Edisonallee 27, 89231 Neu-Ulm, 0731/975270
Stephan Salzmann, Johannesplatz2, 89231 Neu-Ulm, 0731/205868-91
Mechthild Destruelle, Blumenstraße 2, 8231 Neu-Ulm, 0731/4911488

Siehe dazu Lokales aus der Presse:
Neu-Ulmer Zeitung
Süd-West-Presse